Starhemberg
Die Adelsbibliothek der Familie Starhemberg.
Die Starhemberger Bibliothek der Riedegger Linie erlebte ihre Blütezeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und wurde durch ein Fideikommiss, das Reichard von Starhemberg (1570-1613) schon 1598 errichtet hatte, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen gehalten.
Mit dem Erlöschen der Riedegger Linie 1857 fiel die Bibliothek in den Besitz der heute noch bestehenden Eferdinger Linie. Sie wurde bis zum Verkauf auf Schloss Eferding räumlich abgetrennt von deren eigener Bibliothek aufbewahrt.
Die Bibliothek gehörte zu den bedeutenden Adelsbibliotheken Oberösterreichs in der Frühen Neuzeit.
Die erhaltenen Bücher vermitteln noch heute einen guten Eindruck vom Leben dieses führenden Adelsgeschlechts in seinen konfessionellen, politischen, wissenschaftlichen und literarischen Komponenten.
Ankauf und Dublettenverwertung
Camillo Fürst von Starhemberg (1835-1900) verkaufte 1889 die „Riedegger Bibliothek“ für 65.000 Mark an den preußischen Staat. Dieser schenkte sie der Königlichen Bibliothek in Berlin.
Nachdem sie 204 Handschriften und 71 Prozent der Druckwerke übernommen hatte, bot die Königliche Bibliothek von 1891 bis 1898 den Rest nach einem festgelegten Auswahlverfahren 12 preußischen Bibliotheken als Geschenk an.
Die Familienbibliothek, die mindestens 260 Jahre bestand, wurde so als Ensemble in nur zehn Jahren zerschlagen.
Auswahl für die UB Bonn
Bibliotheksdirektor Carl Schaarschmidt (1822-1908) wählte 1893 für die UB Bonn aus und erhielt 854 Bände als Geschenk des vorgesetzten Ministeriums.
Der übernommene Bestand entspricht kaum dem Sammelprofil einer Universitätsbibliothek und ist auch nur bedingt mit der 1902 von der UB Bonn vollständig übernommenen Bibliothek des Prinzen Georg von Preußen (1826-1902) zu vergleichen. Schaarschmidt wusste das Angebot zu nutzen und wählte geschickt 32 Inkunabeln und zahlreiche wertvolle Drucke für Bonn aus.
Bemerkenswert war der Zugang von Inkunabeln in deutscher Sprache: die sechste deutsche Bibel. T. 1. Augsburg: Zainer, 1477 (Inc. 234), beide Bände der Koberger-Bibel. Nürnberg 1483 (Inc. 235), die Reformation der Stadt Nürnberg. Nürnberg: Koberger, 1484 (Inc. 1003), Fridolin Stephans Schatzbehalter. Nürnberg: Koberger, 1491 (Inc. 1045), die Schedelsche Weltchronik. Nürnberg: Koberger, 1493 (Inc. 1047), Friedrich Riedrers Spiegel der wahren Rhetorik. Freiburg i.Br.: Riedrer, 1493 (Inc. 1013) und Werner Rolevincks Eyn Bürdin oder versamlung der zyt. Basel: Richel, 1481 (Inc. 1021).
Überragende Druckwerke aus der Bibliothek Starhemberg sind die Originalausgabe von Andreas Vesalius De humani corporis fabrica. Basel: Oporinus, 1545 (Ra 2' 21/1 Rara) und die Originalausgabe von Galileo Galilei Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo. Florenz: Landini, 1632 (O 397/1Rara).
Insgesamt wurden 50 Titel rarifiziert.
Der Großteil der von der KB Berlin angebotenen Druckwerke ging neben Bonn an die Universitätsbibliotheken Göttingen (1.081) und Halle (289). Diese drei Bibliotheken haben zusammen 25,5 Prozent der Bibliothek Starhemberg erhalten; die restlichen 3,5 Prozent gingen an die anderen neun Bibliotheken bzw. wurden makuliert.
Feststellung des heutigen Umfangs
Im Akzessionsjournal 1893/94 wurden 854 Bände inventarisiert. Durch Fehler bei der Inventarisierung musste die Anzahl der Bände von 854 auf 848 korrigiert werden.
Es sind heute von 848 Bänden nur noch 438 (51,7 Prozent) vorhanden, darunter 29 Bände Inkunabeln. Dies entspricht einer Anzahl von 505 Druckwerken. Von den 410 nicht mehr vorhandenen Bänden entfallen 356 auf nachgewiesene Verluste im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg (87 Prozent), 54 werden vermisst, sind nachgewiesene oder vermutete Dubletten bzw. in keinem Bonner Katalog nachweisbar und auch nicht auffindbar (13 Prozent).
Erkennungsmerkmale in der ULB Bonn
53 Prozent der Bände tragen noch ganz oder teilweise das Signaturschild.
Handschriftliche Besitzeinträge in den Büchern Heinrich Wilhelms von Starhemberg (teilweise auch senkrecht auf dem Titelblatt; in 35 Prozent der vorhandenen Bände).
Das im Bestand regelmäßig zu findende Wappen-Supralibros wird bei Provenienzangaben häufig Heinrich Wilhelm zugeschrieben, gehörte aber seinem Großonkel Gundacker Herr Von Starhemberg (1535-1585). Über dem Allianzwappen Schaunberg/Starhemberg steht sein Wahlspruch: "Gott Verleih's Nach Gnaden".
Einarbeitung in den Bonner Bestand
Bibliotheksdirektor Schaarschmidt hat folgende Grundsätze bei der Bearbeitung angewendet:
Einarbeitung aller Starhemberg-Exemplare, auch wenn die Titel bereits im Bestand der ULB vorhanden waren (regelmäßiger Befund). Nur vier Druckwerke wurden nachweislich als Dubletten veräußert.
Kleine Schriften (Dissertationen, Gelegenheitsschriften usw.) wurden konsequent separat in den Bestand eingearbeitet, obwohl die Titel in vielen Fällen bereits in bibliothekarischen Sammelbänden vorhanden waren.
Die zahlreichen echten Sammelbände aus der Bibliothek Starhemberg sind immer (auch bei Inkohärenz) als solche erhalten und nicht zerlegt worden.
Die Bibliothek Starhemberg wurde wie alle anderen Bestandsübernahmen des 19. Jahrhunderts auf die Sachgruppen der Aufstellungssystematik verteilt und in die Realkataloge eingearbeitet.
Alle Bände tragen diesen Besitzstempel, der von 1892 bis 1899 verwendet wurde. Die Bände sind heute noch an Hand der oben angegebenen Kriterien leicht erkennbar.
Die Übernahme des Starhemberg-Bestands fiel zeitlich mit der Erstellung des Bonner Inkunabelkatalogs zusammen. Ernst Voulliéme hatte im 1894 erschienenen Katalog die übernommenen Inkunabeln der Bibliothek Starhemberg als einzige Bestandsgruppe in der UB Bonn mit Provenienzangabe festgehalten.
Die Familienbibliothek
Heinrich Wilhelm von Starhemberg (1593-1675) hatte als Fideikommiss-Inhaber, durch sein hohes Lebensalter und seine Ämter am Wiener Hof die Bibliothek geprägt und mehrfach katalogisieren lassen. Die Menge der ermittelten Besitzeinträge zeigt aber, dass auch Bücher von Familienmitgliedern in nicht geringem Umfang in die Bibliothek gelangt sind.
Es lassen sich im Bonner Bestand nicht weniger als sieben Familienmitglieder identifizieren. Dies sind aus der Riedegger Linie:
- Heinrich Wilhelm (178 Bände mit drei verschiedenen handschriftlichen Besitzvermerken),
- sein jüngerer Bruder Erasmus d.J. (1595-1664; 9 Bände mit handschriftlichem Besitzvermerk),
- sein Neffe Bartholomäus (1625-1676; 1 Band mit handschriftlichem Besitzvermerk - 76 Bände aus seinem Besitz konnten aber über seine Kataloge nachgewiesen werden).
In der ULB Bonn fehlen Bände aus dem Vorbesitz von Heinrich Wilhelms Vater Reichard von Starhemberg (1570-1613).
Daneben finden sich etliche Bände aus dem Vorbesitz von Mitgliedern der Peuerbacher Linie:
- Gundacker XI. (1535-1585; 19 Bände mit Wappen-Supralibros farbig G H V S 1575 & Wappen-Supralibros schwarz-weiß),
- seiner Söhne Georg Achaz (1559-1597; ein Band mit Wappen-Supralibros G A H V S)
- und Johann (Hans) Ulrich (1563-1626; 11 Bände mit Wappen-Supralibros, mit Monogramm H V H V S + Jahreszahl bzw. mit handschriftlichem Besitzvermerk in den geerbten Büchern seines Vaters Gundacker XI.)
Weiterhin konnten einige Bände aus der Eferdinger Linie nachgewiesen werden:
- Rüdiger IX. (1534-1582; 4 Bände mit handschriftlichem Besitzvermerk:
R. H. V. St.)
Überlieferungshinweise
Alle bei der Überprüfung des Bonner Bestands festgestellten Überlieferungshinweise wurden in einer Arbeitsdatei erfasst. Es handelt sich im Einzelnen um:
Handschriftliche Besitzeinträge, Wappen-Exlibris, Wappen-Supralibros, Schenkungsvermerke, Lesevermerke, Klassikerzitate, Originaleinbände, Signaturen aus älteren Starhemberg-Bibliothekskatalogen und Kaufvermerke.
Ermittelte Provenienzen aus anderen Bibliotheken (Auswahl)
Die ermittelten Besitzeinträge haben gezeigt, dass die Bibliothek neben den Büchern von Familienmitgliedern auch aus den Beständen anderer Adelsbibliotheken, aus kirchlichem Besitz und von Privatpersonen besteht.
Adelige
- Gugel von Brand und Diepoltsdorf (Nürnberger Patrizierfamilie)
- Helmhard VIII. Jörger von Tollet (1530-1594; Präsident der niederösterreichischen Kammer) und dessen SohnKarl Jörger von Tollet (1584-1623)
- Georg Christoph von Schallenberg (1593-1659)
- Leonhard Stockhorner von Starein (-1618; niederösterreichischer Adeliger)
- György Thurzo (1567-1616; slowakisch-ungarischer Adeliger, Palatin von Ungarn)
- Urban von Trennbach (1525-1598; Fürstbischof von Passau)
- Georg Erasmus von Tschernembl (1567-1626; oberösterreichischer Politiker, Vetter von Reichard von Starhemberg)
Kirchlicher Besitz
- Benediktinerkloster Prüfening, Regensburg
Privatpersonen
- Andreas Eberstorfer (-1603; Arzt)
- Sebastian Höflinger (1533-1584; Kanzler des Erzbischofs von Salzburg)
- Maximilian Mayr (1572-1631; Augsburger Jurist)
- Zacharias Präntl (Jurist, Schwager von A. Eberstorfer)
- Georg Schwaiger (1540-1581; bayerischer Stadtpfeifer und Komponist)
- Erasmus Zollner (1584-1646; Pfarrer in Starhemberger und Jörgerschen Diensten)
Quellen / Kataloge / Verzeichnisse
- ULB Bonn Altakten: I b Fasz. 5, Seite 1-14 und 43
- ULB Bonn Akzessionsjournal 1893/94, Geschenke, No. 1-854
- SBB Berlin, Handschriftenabt.: Acta III.C.54: Acta betr. die Fürstl. Starhembergsche (Efferdinger) Bibliothek.
- SBB Berlin, Handschriftenabt.: Handschriftliche Kataloge
- Ms. Cat. B fol. 47 (Katalog der Bibliothek von Gundacker XI., Peuerbach 1580)
- Ms. Cat. B fol. 48 (Katalog der Bibliothek von Heinrich Wilhelm, Riedegg 1632)
- Ms. Cat. B fol. 49 (Katalog der Bibliothek von Heinrich Wilhelm, Riedegg 1652)
- Ms. Cat. B fol. 50 (Katalog der Bibliothek von Heinrich Wilhelm, Wien 1668; Ms. Cat. B fol. 51 ist ein alphabetisches Register zu diesem Katalog)
- Ms. Cat. B fol. 52 (Katalog der Bibliothek von Bartholomäus, 1674; Ms. Cat. B fol. 54 ist eine Überarbeitung dieses Katalogs, das Titelblatt fehlt)
- Ms. Cat. B fol. 53 (Katalog der Bibliothek von Guido (1657-1737), Sohn des Bartho-lomäus, ca 1730)
- Ms. Cat. B fol. 67 (Bibliothekskatalog von J.G. Wessicken, Riedegg 1830; Übergabe-katalog; vollständiger als der zweite Katalog von J.G. Wessicken von 1831 und mit zusätzlichen Angaben zur Einarbeitung in den Bestand der Kgl. Bibliothek)
- Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz: Handschriftliche Kataloge
- Hs. Nr. 102 (Catalog über die Fideicomiss-Bibliothek im Schlosse zu Riedegg 1831; zweiter Bibliothekskatalog von J.G. Wessicken, Riedegg 1831)
- HA Eferding Starhemberg, Bestand Riedegg, Sch 105 (Katalog der Bibliothek von Erasmus d.J., 1660)
Literaturhinweise
- Brunner, Otto: Österreichische Adelsbibliotheken des 15. bis 18. Jahrhunderts als geistesgeschichtliche Quelle. - In: Brunner, Otto: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. 3. Aufl. Göttingen 1980, S. 281-293.
- Erman, Wilhelm: Geschichte der Bonner Universitätsbibliothek, S. 255
- Heilingsetzer, Georg: Heinrich Wilhelm von Starhemberg (1593-1675). Ein oberösterreichischer Adeliger der Barockzeit. Wien, Univ., Diss. [maschinschr.], 1970
- Heilingsetzer, Georg: Die andere Barockkultur. Erasmus d. Jüngere v. Starhemberg (1595-1664). Literatur, Protestantismus u. Toleranz. - In: Oberösterreich. Kulturzeitschrift 26 (1976) H. 2, S. 17-22
- Kohler, Alfred: Umfang und Bedeutung historisch-geographischer Werke in oberösterreichischen Adelsbibliotheken des 17. Jahrhunderts. - In: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 13 (1981) S. 221-248
- Lohmeyer, Eduard: Aus der Fürstlich Starhembergischen Schlossbibliothek zu Efferding. - In: Germania (Wien) 31 (1886) S. 215-232
- Mayr-Kern, Elisabeth: Esther von Starhemberg (1629/30 - 1697). Salzburg, Univ., Diss., 1996 (wegen Bartholomäus von Starhemberg und seiner Kinder)
- Scapinelli, Paul: Das Supralibros Gundackers von Starhemberg. - In: Österreichisches Jahrbuch für Exlibris und Gebrauchsgraphik 29 (1934) S. 16 (mit Abb.)
- Schwerdling, Johann: Geschichte des uralten und seit Jahrhunderten um Landesfürst und Vaterland höchst verdienten, theils fürstlich, theils gräflichen Hauses Starhemberg. Linz 1830
- Weber, Manfred: Eine verbrannte Adelsbibliothek des 16. Jahrhunderts? Die Büchersammlung von Gundacker von Starhemberg. - In: Jahrbuch für Buch- und Bibliotheksgeschichte 6 (2021) S. 31-65.